Chrono-Polis. Griechische Zeiten-Geschichte von der Archaik bis zur Klassik

Abb: Weltzeituhr (eigene Aufnahme von T. Meurer)

Voraussetzungen– oder: Wie wir Zeiten-Geschichte erzählen

Üblicherweise wird Zeit-Geschichte als kulturtechnologische Evolution mit klar festgelegten Etappen erzählt. Verschiedene Zeitmesser stehen darin für unterschiedliche Entwicklungsstufen: Uhren verkörpern die Vorstellung einer globusumspannenden Gleichzeitigkeit in der Moderne. Smartwatches erlauben nicht nur Echt-Zeit-Kommunikation, sondern symbolisieren auch Selbstoptimierung und Entgrenzung im digitalen Zeitalter.

In dieser Fortschrittsgeschichte findet das archaische und klassische Griechenland dagegen keinen Platz. Hier scheinen das Noch bzw. Noch-nicht zu dominieren: Kalender besaßen lediglich lokal Gültigkeit und Institutionen produzierten unterschiedliche Eigen-Zeiten. Wasseruhren zeigten keine Stunden an, sondern maßen Redezeiten in Relation. Sonnenuhren? Bis zum 4. Jahrhundert wohl Fehlanzeige, und zwar nicht nur im archäologischen Befund.

Indes weist ein solcher Zugang nicht nur Leerstellen, sondern auch fragwürdige Voraussetzungen auf. Wer sich auf chronometrische Innovationen konzentriert, läuft Gefahr, temporale Strukturen abseits davon aus dem Blick zu verlieren. Pluralität und Relativität als Defizite einzustufen, sagt mehr über modernen Chronozentrismus als über Zeit und Gemeinschaft im antiken Griechenland aus.

Über das Projekt

Chrono-Polis setzt sich zum Ziel, griechische Eigen-Zeiten im Spannungsfeld zwischen Pluralität, Synchronisation und politischer Symbolik zu erkunden. Das Habilitationsprojekt befasst sich mit dem Wechselverhältnis von Polis-Entwicklung einerseits, temporalen Strukturen andererseits. Dafür werden Praktiken und Medien des Synchronisierens sowohl auf Polis-Ebene als auch darunter und darüber untersucht. Welche Gleichzeitigkeiten lassen sich z. B. im klassischen Athen feststellen und inwieweit waren diese ideologisch aufgeladen? Welche Mechanismen wurden angewandt, um diese miteinander zu verbinden? Daneben stellt sich die Frage, inwieweit Zeit zugleich als Argument im politischen Diskurs diente. Bemerkenswert erscheint hier zuvorderst die Verbindung von Frei-Zeit und Freiheit, von Partizipationschancen und temporalen Ressourcen.

Mit dieser Problemstellung knüpft das Projekt an eine Reihe von althistorischen und altertumswissenschaftlichen Studien an, die sich einer Neueren Chronologie zuordnen lassen. Charakteristisch für diese Forschungsrichtung ist es, antike temporale Strukturen nicht nur als grund-, sondern auch als fachwissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand einzustufen. Eine wesentliche Grundlage dafür bildet ein sozial-konstruktivistisches Verständnis von Zeit. In Anlehnung u.a. an Norbert Elias wird Zeit nicht als gegebene Größe begriffen, sondern als Bündel sozialer Praktiken – mit dem Zweck, Handlungen aufeinander zu beziehen und dadurch zu koordinieren. Darüber hinaus greift Chrono-Polis auf zwei weitere sozial- und kulturwissenschaftliche Theorieangebote zurück und lotet ihr heuristisches Potenzial aus. Dazu zählen zum einen Niklas Luhmanns bzw. Armin Nassehis systemtheoretische Zeittheorie, die die Entstehung von Eigen-Zeiten mit gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen in Verbindung bringt. Zum anderen werden Konzepte des Frühneuzeithistorikers Achim Landwehr für eine griechische ‚Zeiten-Geschichte‘ fruchtbar gemacht.

2021

  • Vortrag im Kolloquium Alte Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin „Gedränge, Gewühl und Gezänk bei der Quelle. Athenische Krenai als chron(otop)ische Kommunikations- und Konflikträume“

2022

  • April–September: Fellow am Einstein Center Chronoi, Berlin
  • Chronoi Talk: ‚In Synch with the City? Preliminary Thoughts on Time and Community in Fifth-century Athens”

2023

  • Vortrag im Kolloquium Alte Geschichte | Albert-Ludwigs-Universität Freiburg: „Zwischen temporaler Pluralität und Synchronisation. Ansätze zu einer Zeit-Geschichte Athens im 5. Jh.“
  • Vortrag im Althistorischen Forschungscolloquium | Freie Universität Berlin „Im Takt mit der Stadt? Zeit und Gemeinschaft im Athen des 5. Jahrhunderts“
  • Probevortrag an der Humboldt-Universität Berlin „Zeit – Zeichen – Geschichte(n). Mediale Figurationen und politische Dimensionen athenischer Temporalitäten im 5. Jahrhundert“

2024

  • Vortrag im Rahmen des Workshops Urban Times (Bonn) „Beyond merely Clocks and Calendars. Mediating Temporalities in Classical Athens”
  • Vortrag im Colloquium Classicum | Goethe-Universität Frankfurt „Ringen um Genauigkeit? Der temporale ἀκρίβεια-Diskurs bei Thukydides und sein Kontext“